Lerntheoriefrage zu Schussangst/ängste

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    War gerade auf einem Abendspaziergang und konnte mir eine Situation in der Lerntheorie selber überhaupt nicht beantworten.

    Abgekürztes Scenario: Marvel schaut zu mir, ich knie vor ihm unten, bin ihm am Belohnen. Sein Blick wendet sich kurz ab. Ein für uns unerwarteter lauter Knall/Schuss erschreckt uns. Marvel macht einen hüpfer und setzt dann seinen Kopf in meine Gutzitasche und bedient sich selbst. Ich lasse es unkommentiert und schliesse einfach die Gutzitasche. (er konnte Erfolgreich davon fressen)

    Habe ich jetzt laut Lehrbuch: Seine Ängste bestätigt weil umgehend nach der Emotion Angst kam eine Bestätigung oder hat er selbständig den Schuss mit Futter positiv belegt?

    Mir ist bewusst, dass die Sequenz davor und danach ebenfalls relevant sind für eine genaue Aussage aber mir gehts gerade vor allem um die Sequenz Futter-Ablenkung-Schuss-Emotionangst-Futter

  • Aus reinem Bauchgefühl würd ich jetzt sagen ihr seid beide erschrocken und Marvel hat es ausgenutzt, dass du ein paar Sekunden unaufmerksam warst und sich ein paar Leckerli gekrallt. Wenn er nicht super ängstlich reagiert hat, und du weder positiv noch negativ mit ihm geredet hast, würd ich behaupten hat diese Situation gar nichts verstärkt und auch bei ihm nichts verknüpft.

    Ich denke der Rest des Spaziergangs verlief dann ganz normal oder?

  • Mmmh ich denke auch, dass er von dem Knall gar nicht soo beeindruckt war bzw. nicht nachhaltig und dann einfach den unaufmerksamen Moment genutzt hat um sich frech an deiner Tasche zu bedienen :kaug:

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    Ich denke der Rest des Spaziergangs verlief dann ganz normal oder?

    Er war danach gehemmter. Davor hatten wir ein grosse Aufregung drin, da er aktuell Quartier mit Katzen(jagen) verbindet und vor dem Knall haben wir eine Katze in der Wiese schön gefüttert, daher war ich nahe bei ihm und die Futtertasche auf Schnauzen höhe. Ich denke er wird diese Situation eh nicht mit "Es hat geknallt" sondern "wir haben 4 Katzen gesehen und keine durfte ich verscheuchen" verknüpfen :S

    Mmmh ich denke auch, dass er von dem Knall gar nicht soo beeindruckt war bzw. nicht nachhaltig und dann einfach den unaufmerksamen Moment genutzt hat um sich frech an deiner Tasche zu bedienen :kaug:

    Beeindruckt waren wir alle sehr, aber denke wie Zelda und ich, nicht nachhaltig.

    Mir ging es vor allem darum, unter was es zählen würde, wenn ich es trainiert hätte :/

    Manchmal hab ich zu viel Zeit zum nachdenken :D

  • Hatte er denn wirklich Angst oder ist er nur kurz aufgeschreckt?

    So wie ich es mir vorstelle wäre es bei meinen Hunden wohl eher "oh ein Knall 8| - ah aber hier kann man Futter nehmen, geil, doch nicht so schlimm" und dann wär das Thema beendet gewesen.

  • Das was meine Vorschreiber sagen kann sein. Könnte auch eine Übersprungshandlung gewesen sein, ist wohl schwierig zu beantworten ohne die Situation (und vorallem Marvels Körpersprache) gesehen zu haben, auch wenn du sie hier gut beschreibst.

  • Ich würde es so in die Lerntheorie einordnen.

    Also, dass negative Emotionen direkt verstärkt werden über Futter ist ein Irrglaube, der sich in der Hundewelt aber stabil aufrecht erhält. Positive Emotionen sind immer ein Gegenspieler und regulierend gegen Angst - ist rein biologisch hormonell so, geht gar nicht anders. Jedoch kann natürlich das Verhalten während der Angst verstärkt werden, was bei unerwünschtem Verhalten ja auch total ungünstig ist. Wenn ihr euch ein Kind vorstellt, dass einen Lolli bekommt beim Zahnarzt während es schreit, dann hat es deshalb nicht mehr Angst vor dem Zahnarzt - aber es denkt sich nächstes Mal, wenn es merkt, dass es ruhig kein Lolli bekommt, dass es wieder einen bekommt wenn es schreit.

    Beispiel: Hund erschrickt vor dem Knall - springt total aufgeregt umher - bekommt ein Guddi = Angst wird weniger (weil Schreckreiz weg & Guddi beruhigt).... -> Fehlverknüpfung umherspringen reduziert meine Angst und ich bekomme dafür noch ein Guddi verstärken das Verhalten umherspringen.

    - Reduzierte Angst wäre dann in der Lerntheorie der Wegfall von etwas Unangenehmem = negative Belohnung

    - das Guddi wäre etwas Positives bekommen = positive Belohnung

    In der Situation mit Marvel käme es mir also jetzt darauf an, ob du sein Verhalten ungünstig fandest und so nicht haben willst, dann ist das ungünstig weil das Verhalten verstärkt wurde. Die Angst selber aber nicht. Edit: gerade nochmals deine Frage gelesen: ich würde sagen, selbstständig den Schuss (und ev. sein Hüpfer noch mit) positiv belegt.

    PS. Etwas Positives kann in dem Sinne Angstverstärkend wirken, wenn es als Ankündigung verknüpft wird - z.B. jedes Mal, wenn ich dieses bestimmte Spielzeug bekomme, ist das in einer Situation wo ich Angst habe (z.B. wenn sie mich ins Wasser locken will). Dann verknüpfe ich vielleicht dieses Spielzeug mit Angst und bekomme Angst, sobald ich es sehe, auch wenn noch kein Wasser in der Nähe ist. Plus vielleicht verstärkt sich auch noch meine Angst in der Nähe von Wasser, aber nicht wegen dem Spielzeug sonder wegen der Erwartung, dass sie mich damit wieder hineinlocken will (und mir damit die Sicherheit genommen wurde, dass das Ufer okay ist, weil ich ja nicht rein muss).

    (Phu, ich finds immer schwierig, all meine Gedanken dazu zusammenzufassen und zu entscheiden, welche Aspekte wirklich wichtig sind - ist der Text verständlich so?)

  • Edit: ich hab das Beispiel noch etwas umgeschrieben, kann aber nicht mehr bearbeiten. Weiss nicht wie wichtig diese kleinen Aspekte zum Verständnis sind, aber da schon gschrieben, hier noch die neue Version:

    Beispiel: Hund erschrickt vor dem Knall - springt total aufgeregt umher - bekommt ein Guddi = Angst wird weniger (weil Schreckreiz weg & Umherspingen "beruhigt" (aktiver Stressabbau) und Guddi beruhigt).... -> Verknüpfung: wenn ich umherspringen reduziert sich meine Angst & ich bekomme dafür noch ein Guddi. Dadurch verstärkt sich das Verhalten umherzuspringen.

    - Reduzierte Angst wäre dann in der Lerntheorie der Wegfall von etwas Unangenehmem = negative Belohnung (In einer Situation sind ja alle Konsequenzen wirksam und in die Quadranten einzuordnen, nicht nur die, die durch uns gemacht werden).

    - das Guddi wäre etwas Positives bekommen = positive Belohnung

    • Offizieller Beitrag

    Finde es sehr verständlich.

    Hatte es heute aber im Training eben auch davon und erzählt dass ich hier die Frage stellte.

    Amelia du sagst, Futter verstärkt nicht die angst, gibst aber als Beispiel das Wasser/Schwimmen als verstärkte Angst mit Spielzeug. Mit Marvel versuche ich ja das schwimmen neu aufzubauen weil er es negativ verknüpfte (wurde mit Futter gelockt und "erschrack" als er plötzlich schwamm, seither meidet er Wasser). Ich finde eben genau diese Gratwanderung zwischen ich Locke den Hund in eine negative Emotion und ich Unterstütze ihn mit Futter in eine positive Emotion wahnsinnig eng und deswegen habe ich gerade bei Schuss nie mit Futter gearbeitet.

    Vaku nein, ich habe Geräusche nie mit Futter hinterlegt eben weil ich mich Lerntheoretisch zwischen dem schmalen Grat von Ängste überwinden müssen und Ängste positiv überbrücken können nicht zutraue. Wenn ich an Geräuscheangst arbeite, dann immer mit Emotinalem Support (selber ruhig anwesend) oder z.b. im Dummy Schuss = Dummy = arbeit = toll

  • Ja stimmt, die Linie ist sehr fein.

    In der Theorie müsste man da jetzt den Unterschied machen, dass sich nicht die Angst vor dem Wasser verstärkt hat, sonder sich die Angst ausgedehnt hat auf zusätzliche Bereiche weil die miteinander verknüpft wurden (Angst generalisiert). Bei deinem Beispiel oben war jetzt nicht das Futter der Angstauslöser, sondern das erschrecken weil bemerkt dass er über seine eigene Grenze ging und dabei wahrscheinlich so auf das Futter fokussiert war, dass er nicht bewusst wahrgenommen hat, dass er gleich schwimmt und sich deshalb nicht bewusst entschied, über die Grenze zugehen. Da hast du dann ja folgender Verlauf: im Wasser stehen - Futter holen - erschrecken - rausrennen (oder was auch immer er nach dem erschrecken getan hat). Die Konsequenz mit der er die Situation verlassen hat ist 1. Angst im Wasser beim schwimmen 2. Angst nimmt ab nachdem er aus dem Wasser rausgerannt ist -> ergo verstärkt sich das aus dem Wasser rausgehen oder eben Wasser ganz vermeiden. Das Futter hatte hier gar keinen Effekt mehr zur Beruhigung nach dem Erschrecken (ausser du hast noch lange weiter gefüttert als er schon schwamm und als er schon erschrocken ist) und wurde höchstens als Ankündigung von etwas Negativem wahrgenommen.

    Das mit dem Futter locken funktioniert dann, wenn man entweder

    1. eifach ein Motivationsanstoss braucht aber danach kein Erschrecken kommt - also z.B. wenn Hund das schwimmen einfach nie ausprobiert, es dann aber eigentlich toll findet, dann funktioniert das Locken weil damit einfach ein Schritt motiviert wird und das danach nicht Angst belegt ist. Also z.B. Unsicherheit ob ins Wasser gehen - locken mit Futter - Hund findet das Schwimmen dann doch recht okay -> langsam aus dem Wasser raus.

    2. oder wenn es gelingt, die Angst tatsächlich noch während man in der Situation drin ist zu reduzieren (Angst habituiert - das ist der Prozess den man macht bei Expositionen bei Phobien). Dann müsste man den Hund so lange im Wasser im Schwimmen behalten, bis er während dem schwimmen bemerkt, dass es gar nicht so schlimm ist und erst dann dürfte man aus der Situation raus. Dieses herunterfahren in der Situation kann man ev. etwas unterstützen oder beschleunigen mit Füttern oder Spielen, muss dabei aber aufpassen, dass der Hund dazwischen die Situation in der er Drin ist immer noch wahrnimmt und wirklich merkt, auch wenn ich im Wasser am schwimmen bin, passiert nicht und erst mit dieser Verknüpfung raus kommt. Im Humanbereich sagt man, dieses Habituieren braucht bis zu max. 20 min solange währenddessen kein neuer Auslöser kommt (also z.B. Höhenangst, du musst bis zu 20min auf dem Turm stehen bis du merkst dass nichts passiert und auch dein Körper sich beruhigt. Passiert aber während diesen 20min etwas - z.B. turm schwankt plötzlich wegen einem Windstoss, du erschrickst - beginnt es da wieder neu). Hier ist eben das Problem, dass dieses mit Futter in eine positive Emotion unterstützen lange gehen kann - wenn wir Angst 90 von 100 haben, mit 2-3 Futterstücken auf 85 runterbringen, dann aber die Situation verlassen - haben wir die Situation immer noch mit 85 Angst verknüpft. Wir müssten da so lange füttern, bis tatsächlich eine positive Emotion da ist oder zumindest die negative neutralisiert ist.

    Situation 2 find ich je nachdem um was es geht total schwierig machbar - ausserdem darf der Körper nicht dissozieren (in den Shutdown gehen, sozusagen resignieren), denn dann habituiert er nicht. Das dissozieren kann aber nach aussen ähnlich aussehen wie ruhig werden, und macht es daher schwerer den Hund zu lesen. Beim Mensch kann man das halt abfragen. Und bei Situation 1 hat man halt die Schwierigkeit, dass man im Vorherein ja nicht weiss, wie es der Hund finden wird. Ergo - wie in der Praxis am besten vorgehen weiss ich auch nicht, aber das wäre so mein lerntheoretisches Verständnis dazu.

    Was haben sie im Training gemeint? Find ich spannend.

    Frage: Wo liegt der Unterschied bei der Schussangst von Dummy Schuss = Dummy = Arbeit = toll zu Schuss = Futter = toll ?

    Ausser das vielleicht je nach Hund das eine höher gewertet ist & länger dauert (Dummy holen = 5 min Arbeit = 5min etwas tolles tun = 5min körperliche Gegenregulation vs. Futterbrocken = 1 sek etwas tolles = q sek Gegenregulation). aber ansonsten ist das doch lerntheoretisch der gleiche Prozess?